Rezension                                             von Perspektiv-Wechsel Praxis für Entfaltungsprozesse

Rezension zum Buch "Die rote Couch" von Irvin D. Yalom


Wer ist der Schriftsteller?

Irvin D. Yalom wird 1931 als Sohn russisch-jüdischer Einwanderer geboren. Seine Familie wanderte kurz nach dem Ende des Ersten Weltkriegs von Celtz in die USA aus. Yalom studiert in Washington, D.C. und Boston. 1956 wird ihm der Doktorgrad der Medizin verliehen. Als Autor veröffentlichte er verschiedene psychotherapeutische Standardwerke, Geschichten und Romane. Er gilt als bedeutendster lebender Vertreter der existentiellen Psychotherapie und unterrichtete als Professor für Psychiatrie an der Stanford Universität. 2009 erhält er den Internationalen Sigmund-Freud-Preis für Psychotherapie.

Was bedeutet existentielle Psychotherapie? (Wikipedia)

Die
Existenzielle Psychotherapie  wurde von Rollo May und Irvin D. Yalom begründet.
Diese Form der Einzeltherapie geht von der Einsicht aus, dass viele Menschen, als Ergebnis einer Konfrontation mit den existenziellen Grundtatsachen des Menschseins, Ängste entwickeln, am Leben verzweifeln und durch kognitiv-rationale Therapieformen nicht erreichbar sind.
Problemorientierte Therapieformen stoßen hier an ihre Grenzen, da der „Sinn des Lebens“ oder die Frage nach der Sterblichkeit keine „Probleme“ im therapeutischen, sondern eher im philosophischen Sinn darstellen.

Der Psyche kommt die Funktion zu, die vitalen Voraussetzungen der Existenz erlebnismäßig zu repräsentieren und so als Bindeglied zwischen dem Geist und Körper das Wohlbefinden des Menschen und die Erhaltung des Lebens zu hüten. Eine nicht integrierte Psychodynamik führt zu einer Ersetzung des entschiedenen und verantwortlichen Handelns durch psychische Reaktionen und somatische Reflexe. Der therapeutische Zugang erfolgt in diesem Fall durch die Bearbeitung der existenziellen Grundmotivationen.


Zunächst die Inhaltsbeschreibung des Buches

Ernest Lash, ein junger Psychoanalytiker aus San Francisco, glaubt an die Wirksamkeit seines Tuns, ist aber andererseits davon überzeugt, daß die klassischen Therapien dringend einer Erneuerung bedürfen. Eines Tages beauftragt ihn die Ethikkommission seines Fachbereichs mit der Untersuchung eines prekären Falls: Er soll die Arbeitsweise eines älteren, sehr berühmten Kollegen namens Seymour Trotter überprüfen, der angeklagt ist, ein Verhältnis mit einer vierzig Jahre jüngeren Patientin gehabt zu haben. Trotter beharrt darauf, daß Sex das einzige Mittel gewesen sei, um die junge Frau vor ihrem selbstzerstörerischen Verhalten zu retten. Zunächst ist Ernest entrüstet. Doch je mehr er sich mit der Sache beschäftigt, desto mehr fasziniert ihn die Idee, jedem Patienten bzw. jeder Patientin eine fallspezifische Behandlung zuteil werden zu lassen.



Meine persönlichen Eindrücke

Sofort wurde ich an Freud erinnert, dessen Werke ich durchaus schätze, seine Herangehensweise ich - als Frau - teilweise abstoßend empfinde. Freud war nach meiner Wahrnehmung in Teilen sehr sexistisch geprägt, folgt man seinen Theorien und der Arbeitsweise.
Aus meiner Sicht wurden die "Schwachheit "der Frau, ihre Stellung zu dieser Zeit, besonders vor ihrem psychisch eingeschränkten Hintergrund, teilweise auf fatale Weise ausgenutzt ... "aus therapeutischen Gründen". 
Dies obwohl Freud, zum Schutz von Patient und Therapeut für die Psychoanalyse, das Abstinenzgebot postulierte.
Leider auch heute noch oft in der Praxis vorkommend, siehe z. B. Dt. Ärzteblatt, Ausgabe 1/2003, den Prozess um den
Psychiater und Neurologen Günter P., Oberarzt am Kölner Universitätsklinikum ...

Der Grundidee "für jeden Patienten
eine neue Therapie zu erfinden, um der Einzigartigkeit eines jeden Patienten Rechnung zu tragen", stehe ich allerdings sehr aufgeschlossen gegenüber. Neudeutsch "den Patienten abzuholen", also mit ihm auf Augenhöhe zu agieren, erweist sich in der Praxis durchaus sinnvoll. Seinen Patienten ein multifokales Arbeitsinstrumentarium anbieten zu können, scheint vor diesem Hintergrund ebenfalls gerechtfertigt.

Nachdem
Ernest dem Auftrag der Ehtikkommission nachgekommen ist, scheint er durch Trotter erst so richtig inspiriert.
In der Folge werden die weiteren Fälle aus Sicht
seines Tuns berichtet.

Doch die erste, von Lash zu untersuchende Geschichte, der impulsiven Patientin "Belle Felini" als Klientin des über 70-jährigen Seymour Trotter, ist für mich mit Abstand die spannendste. - "Gefährliche sexuelle Fixierungen und ein dramatisches Vollbild".
Kein leichtes therapeutisches Unterfangen, wie hier beispielhaft dargelegt wird. Somit zeigt sich die zunächst mögliche Begründung für einen individuellen Therapieansatz, durchaus nachdenkenswert. - Doch tatsächlich alle Technik fahrenzulassen und
nur auf seine Intuition bauen?  Wie sich zeigen wird, sehr gewagt.

Die Beifügung, das Patienten keine Diagnosen sein sollten, gefällt mir sehr!

Interessanter Weise führt der Inhalt des Buches schon recht schnell - Erstveröffentlichung 1998 - zur Hinterfragung von Psychiatrie, Psychotherapie, Medizin und Pharmakologie, damit auch der ICD
(Internationalen Statistischen Klassifikation der Krankheiten) & DSM (Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders).

Es werden die Fälle des Therapeuten Ernst Lash, aus verschiedenen Perspektiven und Personen beschrieben, teils mit geschickten Querverbindungen.
Für viele in dem Fach lernende oder noch nicht so erfahrende Therapeuten, bietet das Buch so manche Sternstunde des Lehrinstrumentariums, einschließlich des Blickes  auf therapeutische Fehlleistungen.
Tatsächlich werden auch die supervisorischen Stunden des beschriebenen Therapeuten aufgezeichnet. Dabei hervorgehoben, "auch Therapeuten sind nur Menschen".
Auf den Menschen hinter der therapeutischen Arbeit wird ebenfalls geschaut, damit auf die inneren Erlebnisse und Denkweisen eines Therapeuten, auch im Privatleben.
 
"Gott sei Dank", denn es ist ein extrem wichtiges Thema und zieht sich wie ein roter Faden durch die Fallgeschichten, das bereits oben angesprochene sexistische Verhalten und die dazugehörigen Denkweisen etlicher Therapeuten, welche/s ganz klar Missbrauch darstellt und die Frauen herabwürdigt.
Die Seiten der betroffenen Frauen und ihre, aus hiesiger Sicht berechtigten, Rachegelüste werden im Fallgeschehen dabei ebenso betrachtet wie die der Therapeuten.

Insgesamt sehr interessant aufgebaute Fallgeschichten, im Ganzen von allen Seiten beleuchtet.
Die Hauptproblematik dreht sich - nach meiner Auffassung - um das missbräuchliche therapeutische Verhalten, welches dem Autor wohl wichtig war, öffentlich zu diskutieren.

Es zeigt sich, dass es einerseits sehr sinnvoll sein kann Therapie individuell anzupassen, es zeigt aber auch die Fallstricke und den Kampf um die Reize des Verbotenen - die auch weibliche Therapeuten betreffen kann.


Interessant für Laien und (angehende) Fachleute.